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NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 71
chen übereinstimmend dagegen, dass die Nachfolge in der Landgrafschaft Thüringen zwi- schen Markgraf Heinrich und Sophie von Brabant umstritten war und dass Sophie, wie in den jüngeren erzählenden Quellen dargestellt und in der aktuellen Forschung als die vor- herrschende Meinung vertreten301, für sich und ihren Sohn Heinrich Ansprüche auf die Landgrafschaft Thüringen erhob. Für eine solche Sicht hat sich aus der Zeit vor der Ab- fassung der Braunschweigischen Reimchronik 1279/92 kein einziges Zeugnis erhalten.
Auch die Selbsttitulierung Sophies von Brabant als Landgräfin von Thüringen in na- hezu sämtlichen ihrer Urkunden bis in den Herbst 1265302 kann nicht als belastbares Ar- gument für tatsächliche Herrschaftsansprüche auf Thüringen gelten303. Es handelte sich, wie bereits bei den vorangehenden ludowingischen Inhabern der Herrschaft Hessen, So- phies Oheim Konrad und ihrem Bruder Hermann304, vor allem um einen Rangtitel, der
Heinrich und Sophie strittig gewesen wäre. Dass Sophie ihren Sohn der Vermundschaft Heinrichs des Er- lauchten unterstellte, um dann nach Erreichen von dessen Mündigkeit Heinrich dem Erlauchten die Land- grafschaft Thüringen streitig zu machen, die dieser zu diesem Zeitpunkt bereits fast ein Jahrzehnt innehat- te, erscheint – zumal es außer dem fraglichen Aussagewert der Titulatur Sophies und Heinrichs des Kindes nicht den geringsten zeitnahen Quellenhinweis in diese Richtung gibt – gleichfalls denkbar unwahrscheinlich.
301 So etwa Patze, Politische Geschichte (wie Anm. 154), S. 43 ff.; lutz (wie Anm. 9), S. 231, 246; heine- meyer, Das Hochmittelalter (wie Anm. 70), S. 185; Peter moraw, 1292 und die Folgen. Dynastie und Territorium im hessischen und deutschen Spätmittelalter, in: Bll.dt.LG 129 (1993), S. 41–62, hier S. 45 f.; heinemeyer, erhebung (wie Anm. 70), S. 106 f.; schwind, Thüringen (wie Anm. 70), S. 20; teBruck, Pacem cornfirmare (wie Anm. 7), S. 255 ff. Überwiegend wird diese Auffassung mit dem von Sophie und anfänglich auch von ihrem Sohn Heinrich in der Titulatur iher Urkunden geführten Landgrafentitel für Thüringen begründet, vgl. dazu die folgende Anm.
302 Der Titel lantgravia Thuringie begegnet nach anfänglichem Schwanken in den beiden ersten Urkunden So- phies vom 25.3. und 23.4.1248 von ihrer dritten sicher datierbaren Urkunde vom 19.6.1248 an durchgän- gig in den nächsten acht Urkunden bis zum 17.4.1250. Nach drei Urkunden von 1250/52, in denen der Titel fehlt (vgl. Anm. 174), findet er sich in allen zehn nachfolgenden Urkunden vom 14.7.1254 bis zum 11.9.1263 wieder – er fehlt in einer der vier Langsdorfer Urkunden, vgl. dazu unten Anm. 389 – und wur- de dann erneut durchweg in den nächsten fünf Urkunden bis zum 24.6.1264 verwandt. Erst danach, in den neun erhaltenen Urkunden vom 31.12.1264 bis zum 3.8.1272 bricht diese Kontinuität ab und begegnet der Titel nur noch am 12.9.1265 und am 12.5.1267; Nachweis der Urkunden bei Grotefend/rosenfeld, Ver- zeichnung der Titulatur bei doBenecker, Regesta, Bd. 3 und Bd. 4, und bei stanGe-methfessel (wie Anm. 139), die in ihrer Dissertation eine genaue Analyse vorlegen wird; vgl. bis dahin die sehr abwägende Auswer- tung bei VoGt (wie Anm. 147), S. 324–329, sowie den Beitrag von Mathias kälBle im vorliegenden Band.
303 Am entschiedensten dagegen sprach sich wenck (wie Anm. 25), S. 222, aus, der zu dem thüringischen Landgrafentitel vermerkte: „das ist harmloser, ist nicht als eine Inanspruchnahme der Landgrafschaft auf- zufassen“. Ähnlich stellten auch Grotefend/rosenfeld, S. 5, Nachbemerkung zu Nr. 14, in Frage, ob „bei dem häufigen Wechsel ihrer Titel jedes Mal auf eine besondere Absicht geschlossen werden darf“; kritisch äußerte sich in der jüngeren Forschung vor allem hussonG (wie Anm. 9), S. 27 f. mit Anm. 28. Hingegen betonte VoGt (wie Anm. 147), S. 322, dass der starke Wechsel in den Titeln zwar beweise, „daß man kein entscheidendes Gewicht auf sie gelegt haben kann“, hielt aber, S. 331, diesen Wechsel für „doch nicht so regellos, wie es zunächst den Anschein hat“; entsprechend gab er zu bedenken, „ob sich nicht in der Füh- rung der Titel die Politik ihrer Träger widerspiegelt“ (S. 323), wobei andererseits wiederum „die geringe Zahl der Urkunden zur Zurückhaltung im Urteil“ mahne. Die gesamte methodische und inhaltliche Problematik wird hier erkennbar. Zu der in Vorbereitung befindlichen umfassenden Analyse von stanGe-methfessel, die auch sämtliche urkundlichen Fremdtitulierungen Sophies auswerten wird, vgl. Anm. 139.
304 Vgl. oben S. 25 f. Bereits wenck (wie Anm. 25), S. 222, verwies in seiner oben Anm. 148 zitierten Ein- schätzung darauf, dass wie diese auch Sophie und ihr Sohn Heinrich diesen Titel angenommen hätten,