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70 MATTHIAS WERNER
terschronik die Rede, wobei ohne nähere Erklärung und mit einer völlig anderen Dar- stellungsintention die terra Thuringorum als Konfliktgegenstand angegeben wird. Erst in einer nächsten Phase der Traditionsbildung, in der Braunschweiger Reimchronik von 1279/92 und bei Siegfried von Ballhausen zu Beginn des 14. Jahrhunderts, werden Ur- sachen genannt: Übereinstimmend, wenn auch im Detail variierend, geben die Autoren unter Umdeutung älterer Informationen die unrechtmäßige Einbehaltung (Reimchro- nik) bzw. die widerrechtliche Usurpation (Siegfried von Ballhausen) Thüringens durch Markgraf Heinrich gegenüber Sophies Sohn Heinrich als dem rechtmäßigen Erben an. Von hier ausgehend nahm – in einer dritten Phase – 1340/49 der Autor der Reinhards- brunner Chronik gleichsam eine Umkehrung der ältesten Darstellung vor. In seinem Bericht über die kommissarische Betrauung Heinrichs des Erlauchten durch Sophie er- setzte er die Worte seiner Vorlage tota Hassie terra durch totam terram Thuringie. Anders jedoch als seine Vorgänger machte er nicht so sehr Thüringen zum Gegenstand der Auseinandersetzungen, sondern er fokussierte seinen Bericht vor allem auf Sophies Be- mühungen um den Rückerwerb der Wartburg und der Stadt Eisenach.
2. 3. Gegenstand, Zeitpunkt und Verlauf der Auseinandersetzungen
Sucht man die quellenkritischen Befunde mit der spärlichen urkundlichen Überlie- ferung in Verbindung zu setzen, so lassen sich zu Inhalt, Zeitpunkt und Verlauf des Konflikts zwischen Sophie von Brabant und Heinrich von Meißen einige genauere Aussagen treffen. Sie bestätigen im wesentlichen das von Ilgen und Vogel erarbeitete und seitdem nur geringfügig modifizierte Bild und schaffen damit für die Fragestellun- gen des vorliegenden Beitrags eine breiter abgesicherte Grundlage.
Die zu erschließende Erb- und Nachfolgeregelung von 1243299, der gesamte Gesche- hensverlauf seit Heinrich Raspes Tod300 und die ältesten historiographischen Texte spre-
299 Vgl. dazu oben S. 10 ff. Es ist schwer vorstellbar, dass die Regelung von 1243, die die Eventualbeleh- nung Heinrichs des Erlauchten mit der Landgrafschaft Thüringen und der Pfalzgrafschaft Sachsen vor- sah, ohne Abstimmung mit Heinrich Raspes engem, seit 1239/40 durch zwei Heiratsverbindungen gewonnenen Verbündeten Herzog Heinrich II. von Brabant erfolgte, und es gibt keinerlei Hinweise da- rauf, dass dieser bzw. nach seinem Tode im Februar 1248 seine Witwe Sophie die Rechtmäßigkeit dieser Regelung in Frage stellte. Dass Herzog Heinrich II. bei seinem Aufenthalt in Marburg im Mai 1247 in einer Belehnungsurkunde Graf Adolfs von Berg für seine Burg Windeck an der Sieg als Landgraf von Thüringen und Herzog von Brabant tituliert wurde, Grotefend/rosenfeld, s. 3, nr. 7, verweist nicht auf Ansprüche Heinrichs auf die Landgrafschaft Thüringen, sondern spiegelt am ehesten wohl wider, dass für Graf Adolf Herzog Heinrich II. in der Nachfolge der Landgrafen von Thüringen stand, die bislang die Lehnsherren für Windeck gewesen waren; vgl. auch hussonG (wie Anm. 9), S. 12 Anm. 15.
300 So entspricht es sich, dass einerseits in den Berichten über die Erbauseinandersetzungen in Thüringen 1247/48 Herzog Heinrich II. von Brabant und Sophie nicht unter den Mitkonkurrenten genannt werden, und dass andererseits Sophie im März 1250 Heinrich den Erlauchten mit der kommissarischen Verwaltung der Wartburg und der terra Hassie sowie mit der Vormundschaft über ihren Sohn betraute. Letzteres setzte ein engeres Einvernehmen sowie von Seiten Heinrichs die Anerkennung des Obereigentums Sophies an der Wartburg voraus – all dies wäre wohl undenkbar, wenn das Erbe der Landgrafschaft Thüringen zwischen


































































































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