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68 MATTHIAS WERNER
nen Bericht um markante Einzelzüge im Sinne seiner Darstellungsabsichten erweiterte. Sie betrafen fast durchweg Personen, Örtlichkeiten und Geschehnisse in und um Eise- nach und dürften – bei aller Neigung zu literarischer Ausschmückung und bei aller Un- genauigkeit des Kompilators295 – zumindest zu einem Teil lebendige lokale Erinnerun- gen widergespiegelt haben296. Mit alle dem brachte er, zweifellos auch bestärkt durch den thüringischen Grafenkrieg 1342–1345, an dem höchst sensiblen Punkt der Legitimität der Herrschaftsübernahme Thüringens 1247/50 durch die Wettiner die wachsende an- tiwettinische Einstellung jener Kreise Thüringens zum Ausdruck, die wie der Autor als Mönch des alten ludowingischen Hausklosters Reinhardsbrunn von der Sorge vor ei- nem Absinken Thüringens zu einem wettinischen Nebenland297 und von der verklären- den Rückbesinnung auf die Ludowinger geprägt waren298.
7. Vergleichende Auswertung
Im Ergebnis führt die quellenkritische Analyse zu einem vergleichsweise deutlichen Bild. Relevant für eine ereignisgeschichtliche Auswertung sind vor allem die älteren, z. T. noch zeitgenössischen Texte: die in Erfurt verfassten Predigerannalen, Chronica Minor und Pe- terschronik, und die von ihnen offenbar unabhängige, drei oder vier Jahrzehnte nach den
295 Sie wird besonders bei seinen chronologischen Angaben sichtbar: z. B. 1248 als Todesjahr Heinrich Ras- pes und Jahr der Übergabe der Wartburg an Markgraf Heinrich durch Sophie, 1254 als Jahr der Königs- wahl Wilhelms von Holland, oder 1264 als Jahr der Verlobung der Tochter Landgraf Albrechts mit dem Sohn Herzog Albrechts von Braunschweig, Cronica Reinhardsbrunnensis (wie Anm. 244), S. 619, 621, 624, vgl. dazu unten S. 96 mit Anm. 434. Ungenau sind oft auch seine genealogischen Angaben, so be- zeichnet er etwa Heinrich den Erlauchten als Oheim statt als Vetter Sophies oder die Gemahlin Heinrichs des Kindes (Elisabeth) als Tochter statt als Schwester Herzog Albrechts von Braunschweig, S. 619, 622.
296 Deren Glaubwürdigkeit bedarf in jedem Einzelfall der Untersuchung; so kann kälBle, Städtische Eli- ten (wie Anm. 317), S. 281, überzeugend zeigen, dass die Erzählung über den Eisenacher Bürger von Welsbach, wie Anm. 290, sich offensichtlich auf ein Mitglied der 1247/62 bezeugten, im Eisenacher Rat vertretenen Familie von Welsbach bezieht und somit trotz ihrer sagenhaften Überformung einen histo- rischen Kern besaß.
297 Zu dieser Sorge, die der Autor in seiner Erzählung über die Einbehaltung Thüringens durch Heinrich den Erlauchten sehr anschaulich widerspiegelt, vgl. Anm. 287, als zeitgeschichtlichem Hintergrund vgl. moeGlin (wie Anm. 279), S. 333.
298 Vgl. moeGlin (wie Anm. 279), S. 336 mit Anm. 56; werner, Landesbewusstsein (wie Anm. 268), S. 121 mit Anm. 217; teBruck, Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 203 f. Höchst bemerkenswert ist es, wie in der neu entstehenden thüringischen Landeschronistik seit dem Ende des 14. Jahrhunderts, als Thüringen unter Landgraf Balthasar (1379–1406) und dessen Sohn Friedrich dem Friedfertigen (1406– 1440) wieder den Status einer autonomen Landgrafschaft innerhalb des wettinischen Herrschaftskom- plexes besaß, die älteren Berichte über den Konflikt Sophies mit Heinrich dem Erlauchten eine deutli- che Wendung zu einer pro-wettinischen, für Heinrich günstigen Sichtweise erfuhren, vgl. moeGlin, S. 343–358, während sie in der ein Jahrhundert jüngeren hessischen Landeschronistik eine noch stärke- re antiwettinische Tendenz zugunsten Sophies von Brabant erhielten (Meineid Heinrich des Erlauchten über der Rippe der hl. Elisabeth!). Eine vergleichende Analyse würde weitreichende Aufschlüsse auf das unterschiedliche Nachwirken der Vorgänge von 1247/64 in der thüringischen und hessischen historio- graphischen Erinnerung und damit auch regionalen Identitätsbildung erlauben.