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NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 55 2. Kämpfe in Thüringen
Die Ereignisse in Thüringen in den Jahren 1256 bis 1264/65 haben, vor allem durch ihre ausschmückende Wiedergabe in der thüringischen und hessischen Historiographie des Spätmittelalters, die weit verbreitete Vorstellung eines „Thüringisch-hessischen Erbfol- gekrieges“ begründet242. Diese Vorstellung wurde bereits im Spätmittelalter von einigen Chronisten auf die gesamten Vorgänge zwischen 1247 und 1264 um das ludowingische Erbe übertragen und wirkt in der Forschung wie in der populären Tradition bis in die Ge- genwart nach243. Im Kontrast zu der reichen und wirkmächtigen Traditionsbildung liegt zu den Ereignissen selbst allerdings, wie bereits mehrfach erwähnt, lediglich eine schmale, schwierige Quellenbasis vor: Nur wenige urkundliche Zeugnisse stehen einer zunehmend tendenziösen historiographischen Überlieferung gegenüber.
2. 1. Die urkundliche Überlieferung
Nach dem Zeugnis der Urkunden scheinen mit dem Ende der Vormundschaftsregie- rung Markgraf Heinrichs in der Jahresmitte 1256 die Kontakte zwischen Sophie und Markgraf Heinrich bis zum Friedensschluss von 1264 abgebrochen zu sein244. Von den
242 Diese für die thüringische und hessische Traditionsbildung und die Frage der Formierung regionaler Identität zentrale Thematik bedarf noch einer eingehenden Untersuchung; vgl. vorerst die wichtigen Ausführungen bei hussonG (wie Anm. 9), S. 18–28. Wurde die Vorstellung eines „Erbfolgekrieges“ in der thüringischen Historiographie vor allem in dem „Compendium Historiarum“ des Siegfried von Ball- hausen aus dem frühen 14. Jahrhundert vertreten, vgl. dazu unten S. 62 f. mit Anm. 280 f., dem dann die spätmittelalterliche Eisenacher Landeschronistik mit Johannes Rothe an der Spitze (ca. 1360–1434) folgte, so vermerkte der hessische Landeschronist Wigand Gerstenberg in seiner 1493/97 verfassten Landeschronik nach der ausführlichen Darstellung darüber, wie nach dem Tode Heinrich Raspes Do- ringen von dem lande zu Hessen abekummen ist, und dem Bericht über die gutliche richtunge zwischen Heinrich dem Erlauchten und seinen Söhnen sowie Sophie von Brabant und ihrem Sohn Heinrich 1264: Also wart der krig gerichtet, Hermann diemar (Bearb.), Die Chroniken des Wigand Gerstenberg von Frankenberg (VHKH 7), Marburg 2. Aufl. 1989, S. 211–222 (Zitate S. 211, 222).
243 Bezeichnete bereits weGele (wie Anm. 9) S. 39, das gesamte Geschehen zwischen dem Tod Heinrich Raspes und dem Frieden von 1264/65 als „thüringischen Erbfolgekrieg“, so war es offenbar vor allem die grundlegende, fast monographische Untersuchung von ilGen/VoGel von 1883, deren – von den Autoren an keiner Stelle hinterfragte oder näher begründete – Titel „Kritische Bearbeitung und Dar- stellung der Geschichte des thüringisch-hessischen-Erbfolgekrieges (1247–1264)“ in einer so suggestiv- griffigen Weise die Begrifflichkeit für die komplexen Vorgänge der Jahre 1246–1264 in Thüringen und Hessen für die Folgezeit vorgab, dass diese Bezeichnung gleichsam als fester Begriff bis in die jüngs- te Zeit immer wieder übernommen wurde, vgl. etwa die Kapitelüberschriften bei Patze, Politische Ge- schichte (wie Anm. 154), S. 42, und hussonG (wie Anm. 9), S. 27.
244 Von den erzählenden Quellen berichtet erst die fast ein Jahrhundert nach den Ereignissen, 1340/49 ent- standene Reinhardsbrunner Chronik zum Jahre 1253 von einem persönlichen Treffen zwischen Heinrich dem Erlauchten und Sophie von Brabant im Eisenacher Dominikanerkloster, bei dem Sophie von Hein- rich die Wartburg und das Land Thüringen zurückgefordert habe, Oswald holder-eGGer (Hrsg.), Cro- nica Reinhardsbrunnensis a. 530–1338, in: MGH SS 30,1, Hannover 1896, ND Stuttgart 1976, S. 514– 656, hier S. 620 f.; vgl. dazu unten S. 66 mit Anm. 287. An diesen Bericht knüpfte die berühmte Erzählung