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NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 53
Größe eines gräflichen Territoriums wie etwa dem der Grafen von Berg oder der Gra- fen von Schwarzburg verbleiben würde230.
Erzbischof Gerhard I. von Mainz hatte im Udestedter Vertrag vom Mai 1254 die Durchsetzung seiner Ansprüche auf die Mainzer Kirchenlehen in der Hassia et eius confinio bis zur Mündigkeit Heinrichs des Kindes aufgeschoben231. Als dieser Termin im Juni 1256 eintrat, war der Erzbischof jedoch politisch gelähmt. Sein Überfall An- fang Januar 1256 vom Eichsfeld aus in das welfische Herrschaftsgebiet bei Göttin- gen zur Unterstützung seines Verwandten Graf Konrads von Everstein gegen Her- zog Albrecht von Braunschweig232 – den Schwiegersohn Sophies von Brabant – hatte nicht nur das langjährige gute mainzisch-welfische Einvernehmen zerstört233, sondern führte vor allem zur Gefangensetzung des Erzbischofs durch den Welfen in Braun- schweig. Erst im Januar 1257 konnte sich Gerhard gegen hohe Geldzahlungen und Gebietsabtretungen befreien234. Die Folgen dieser Niederlage waren weitreichend, und sie banden ebenso wie die veränderte reichspolitische Situation nach der Doppelwahl Richards von Cornwall und Alfons’ von Kastilien im Januar/April 1257 und Gerhards verstärktes territorialpolitisches Engagement im Süden des Mainzer Erzstifts nahezu sämtliche seiner Kräfte235. Diese Schwerpunktverlagerung sowie eine erneute Gefan- gensetzung im Sommer 1258 ließen bis zu seinem Tod im September 1259 gezieltere Aktivitäten in Nordhessen nicht mehr zu236. Demgegenüber suchte Gerhards Nach-
230 Vgl. etwa Thomas R. kraus, Die Entstehung der Landesherrschaft der Grafen von Berg bis zum Jah- re 1225 (Bergische Forschungen 16), Neustadt/Aisch 1981, S. 50–110, mit Karte III (im Anhang), Pat- ze, Politische Geschichte (wie Anm. 154), S. 148–155, und Helge wittmann, Der Adel Thüringens und die Landgrafschaft im 12. und 13. Jahrhundert: Das Beispiel der Grafen von Schwarzburg-Käfernburg, in: kunde/teBruck/wittmann (wie Anm. 39), S. 63–93, hier S. 68–89, mit Karte S. 70. Karl hatte- mer, Territorialgeschichte der Landgrafschaft Hessen bis zum Tode Philipps des Großmütigen, Darm- stadt 1911, S. 32, geht sogar davon aus, dass um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Grafschaft Ziegen- hain „an Umfang und Bedeutung [...] der Landgrafschaft nahezu gleich[gekommen]“ sei.
231 Vgl. oben S. 21 und S. 47 mit Anm. 207.
232 Dazu ilGen/VoGel, S. 329–332, Gerlich (wie Anm. 114), S. 290, HeiniG (wie Anm. 56), S. 359 f., so-
wie insbesondere Bähr (wie Anm. 208), S. 12 f. und zillmann (wie Anm. 50), S. 234 f., 268 f., die deut- lich den unmittelbaren Zusammenhang dieses „überfallartigen Plünderungseinfalls“ (S. 268) mit dem Kampf der Grafen von Everstein um ihre Selbstständigkeit gegenüber der welfischen Herzogsgewalt und mit der Asseburger Fehde aufzeigen.
233 1239 hatten Erzbischof Siegfried III. von Mainz und Herzog Otto von Braunschweig ein Schutzbünd- nis auf 10 Jahre abgeschlossen, das trotz der Belastungen durch die Hildesheimer Stiftsfehde von 1246– 1249 Bestand hatte, so dass das gute Einvernehmen bis mindestens 1249/51 andauerte, zillmann (wie Anm. 50), S. 266 ff.; schuBert (wie Anm. 323), S. 578.
234 zillmann (wie Anm. 50), S. 269 f., der zeigt, dass die erzwungene Abtretung des wichtigen Mainzer Stützpunktes Gieselwerder an der Weser an Herzog Albrecht den Anlass weiterer Spannungen zwischen dem Erzstift und dem Braunschweiger Herzog bot, die mit dem Amtsantritt Erzbischof Werners aus- brachen und damit zugleich die welfisch-hessische Frontstellung gegen den Erzbischof weiter vertief- ten.
235 Gerlich (wie Anm. 114), S. 290–293; HeiniG (wie Anm. 56), S. 360–364.
236 Das Itinerar Erzbischof Gerhards weist in der Zeit nach seiner Freilassung aus der welfischen Gefan-
genschaft (Anfang Januar 1257) im März 1257 sowie im August und September 1259 Aufenthalte in Er- furt auf (hier starb er am 25.9.). Jedoch ist kein Besuch in Nord- und Mittelhessen überliefert, Böhmer/