Page 71 - Langsdorfer Verträge Inhalt
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NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 51
Zugleich erhielt ihr Bündnis mit Herzog Albrecht von Braunschweig, das sie zunächst vor allem zur Unterstützung gegen den Erzbischof abgeschlossen hatte, mit dem Ende der wettinischen Vormundschaft eine neue, zusätzliche Stoßrichtung. Da Sophie von Hein- rich dem Erlauchten zwar die terra Hassie, offenbar aber nicht die ihm gleichfalls kom- missarisch überlassene Wartburg und ihre übrigen thüringischen Erbgüter zurück erhal- ten hatte221, und da Herzog Albrecht weiterhin Expansionsabsichten in das nordwestliche Thüringen verfolgte222, ergab sich für beide eine gemeinsame Interessenlage gegen Hein- rich den Erlauchten und seine Söhne. Sie führte seit dem Ende der 1250er Jahre zu ge- meinsamen militärischen Aktionen, deren Ziel das westliche und mittlere Thüringen war. Erstmals in diesem Zusammenhang sprechen die Quellen – wenn auch im Rückblick von über 40 Jahren – von einem „Erbfolgekrieg“ zwischen Sophie von Brabant und Heinrich dem Erlauchten um die terra Thüringen223. Dieser Krieg sei geführt worden, weil Heinrich das Land Thüringen widerrechtlich usurpiert habe, wo doch Sophies Sohn, der Landgraf von Hessen, der sehr viel berechtigtere Erbe (propinquior heres) gewesen sei224.
Die Konflikte, die nach 1254/56 in der höchst komplexen Gemengelage brabantisch- hessischer, mainzischer, welfischer und wettinischer Interessen ausbrachen und noch einmal – erstmals wieder seit 1247/48, aber nun von anderer Seite – die Frage des ludo- wingischen Erbes in Thüringen aufwarfen, fanden bekanntlich mit den Langsdorfer Ver- trägen von 1263 und dem welfisch-hessisch-wettinischen Frieden von 1264 ihren Ab- schluss. Erst jetzt, mit den Einungen der Jahre 1263/64, wurde die nach dem Aussterben der Ludowinger einsetzende „Umgestaltung“ in diesen Regionen in der Mitte des Rei- ches beendet. Gemessen an der historischen Bedeutung dieser Vorgänge und ihrer Prä- gekraft für die jüngere Tradition ist die Quellenlage allerdings denkbar ungünstig. Da – mit Ausnahme der Langsdorfer Verträge! – nur eine extrem bruchstückhafte urkund- liche Überlieferung vorliegt, bleibt man für die zentralen Fragen im wesentlichen auf die historiographischen Zeugnisse angewiesen. Diese jedoch berichten bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts fast ausschließlich aus thüringischer Perspektive, blenden die Ereignis- se in Hessen vielfach aus, und konzentrieren sich auf die kriegerischen Auseinanderset- zungen, die sie mit zunehmend umformender Tendenz darstellen225. Angesichts dieser
221 Dazu unten S. 74 f.
222 Vgl. etwa den Gütertausch von 1258, bei dem er von seinem Schwager Herzog Albrecht I. von Sach-
sen die westthüringischen Städte Allendorf und Witzenhausen erwarb, vgl. dazu oben S. 18 mit Anm. 53, und unten S. 75 mit Anm. 325. Möglicherweise war die Perspektive eines gemeinsamen Vorgehens gegen den mächtigen Mark- und Landgrafen eines der leitenden Motive Herzog Albrechts für sein Hei- ratsbündnis mit Sophie von Brabant und seiner Ehe mit deren Tochter Elisabeth.
223 Vgl. dazu unten S. 62 f. mit Anm. 281.
224 Wie Anm. 223.
225 Lebhaft beklagten ilGen/VoGel, s. 157, unter den positivistischen Prämissen ihrer Zeit und nach eigener
mühsamster quellenkritischer Arbeit die „verhängnißvolle Wirkung, die unsere späte sagenhafte Überlieferung auf die Gestaltung der Darstellungen thüringisch-hessischer Geschichte ausgeübt hat“, und betonten: „Denn kaum auf einem anderen Gebiete mittelalterlicher Geschichte ist uns die historische Erkenntniß derartig er- schwert als auf dem der thüringisch-hessischen, nirgends sind soviel Sagen und Märchen eingedrungen, wie gerade hier, und haben bis auf den heutigen Tag in unseren Geschichtswerken ihren Platz behauptet. Die Ent- wicklung, der Zustand der Geschichtsschreibung Thüringens tragen hieran in erster Linie die Schuld“.