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GEWOHNHEITEN DER KONFLIKTBEILEGUNG IM 13. JAHRHUNDERT 135
mann oder dem Lehnsherrn als Möglichkeit zum Erweis besonderer Gunst dienen. Auch im Erzstift Mainz bezog man sich in einigen Fällen auf die Norm, dass Lehen zwar grundsätzlich erblich waren, das Erbrecht von Seitenverwandten – und um deren Nachkommen handelte es sich sowohl bei Heinrich dem Erlauchten als auch bei So- phie von Brabant – aber nur in Ausnahmefällen gewährt wurde; zumeist dann, wenn ein Seitenverwandter das Lehen nur interimistisch für einen direkten, aber noch un- mündigen Nachkommen verwaltete48. Auch im Pontifikat Werners von Eppstein war dies geübte Praxis. Am 30. Oktober 1259 gewährte der gewählte Erzbischof seinem consanguineus Graf Emicho von Leiningen das Recht, alle seine Güter, die er von der Mainzer Kirche zu Lehen trage, an seine Töchter bzw. erbberechtigte Frauen des Hau- ses Leiningen zu vererben49.
Dieser Handlungsspielraum der Lehnspraxis spielte beim Langsdorfer Ausgleich eine zentrale Rolle. Zwar hatten die Mainzer Erzbischöfe und andere geistliche Lehns- herren wie das Stift Hersfeld und das Kloster Fulda unmittelbar nach dem Tod Hein- rich Raspes versucht, heimgefallene Lehen an sich zu ziehen50, doch vermochten sie die erbrechtlich begründeten und mit militärischen Mitteln durchgesetzten Ansprü- che Sophies von Brabant und ihres Sohnes Heinrich nicht abzuwehren. Die zahlrei- chen Zugeständnisse der hessischen Seite im Langsdorfer Frieden – etwa die Teilung der Vogtei Wetter und vor allem die Lehnsauftragung der ludowingischen Gründun- gen Grünberg und Frankenberg51– zeigen, dass der wiederholt formulierte Rechtsan- spruch zwar nicht gänzlich durchgesetzt werden, aber in Verhandlungen als wertvol- les Unterpfand dienen konnte. So konnte der Mainzer Erzbischof für das Abweichen vom Rechtsanspruch und die Zustimmung zur Belehnung von Seitenverwandten die mainzischen Herrschaftspositionen in Hessen in den Langsdorfer Verträgen deutlich stärken.
Im Kontext der sich verändernden Gewohnheiten der Konfliktbeilegung im 13. Jahrhundert kann die Auflassung von Eigengut mit anschließender Belehnung des Vorbesitzers als typisches Element der Initialphase einer Streitschlichtung verstanden werden. Die Stärkung der Lehensbindung zwischen dem Mainzer Erzbischof und den Herren Hessens diente nicht der endgültigen Beilegung des eigentlichen Konflikts, sondern sollte erst die Möglichkeit zur späteren materiellen Regelung strittiger Fragen bereiten. So ist wohl auch die dilatorische Behandlung der Frage nach dem Umfang
48 Grathoff, Erzbischofsburgen (wie Anm. 31), S. 190 f.
49 Böhmer/will, XXXVI (Erzbischof Werner), S. 349, Nr. 3 (30.10.1259). Dieser Gunsterweis an Emi-
cho von Leiningen gehört offenbar in den Zusammenhang der Bemühungen Werners von Eppstein um die Friedenssicherung am Mittelrhein, die eine Voraussetzung für seine Romreise zum Empfang des Pal- liums darstellte. Vgl. Goswin von der roPP, Erzbischof Werner von Mainz. Ein Beitrag zur deutschen Reichsgeschichte des 13. Jahrhunderts, Göttingen 1872, S. 15 f.
50 Vgl. ilGen/VoGel, S. 245 f.
51 Frankenberg war erst eine relative junge Gründung, Grünberg hatte offenbar aber bereits enorme Be-
deutung für die Herrschaft Sophies von Brabant in Hessen. Vgl. kaminsky, Bedeutung (wie Anm. 27), S. 28, der darauf hinweist, dass drei der 30 Bürgen für die Zahlung an den Mainzer Erzbischof aus die- ser Stadt kamen.