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GEWOHNHEITEN DER KONFLIKTBEILEGUNG IM 13. JAHRHUNDERT 129
benszeit besitzen dürfe, diese aber nach ihrem Tod an die Mainzer Kirche zurückfallen sollten. Ein möglicher Gatte in zweiter Ehe und daraus hervorgehende Kinder sollten kein Recht an diesen Lehen haben. Auf Befehl Sophies und Heinrichs hätten die Rit- ter, Burgmannen, Bürger und Einwohner der Städte daher eidlich gelobt, diese Güter im Falle eines kinderlosen Todes Heinrichs der Mainzer Kirche zurückzugeben und ihr in allem so zu gehorchen wie jenen29.
Die Auflassung von Allodialbesitz an den Lehnsherrn und seine anschließende Rückgabe als Lehen wird rechtsgeschichtlich mit dem Terminus „Auftragslehen“ be- zeichnet, da im Normalfall – besser: Idealfall – das Lehnsgut aus dem Allodialbesitz des Herrn stammte. Diese Sonderform des Lehens ist seit dem 12. Jahrhundert gut be- legt und fand im Spätmittelalter weite Verbreitung30. Im vorliegenden Fall ist die Le- hensauftragung ein wesentlicher Teil des Verfahrens zur Lösung des Konflikts. Mit der Auflassung zweier bedeutender Städte aus dem ludowingischen Erbe in Hessen wurde der Lehensbesitz der Mainzer Kirche an wichtigen strategischen Orten deutlich erwei- tert, weshalb der Vorgang zusammen mit der Zahlung von 2000 Mark bei einer Bilan- zierung von Gewinn und Verlust bei dem Vergleich auf der Mainzer Habenseite ver- bucht werden kann.
Zudem handelt es sich bei dem Vorgang um ein im späteren Mittelalter weit ver- breitetes Verfahren der Konfliktlösung, das – wie Stefan Grathoff in seiner Untersu- chung zu den Mainzer Erzbischofsburgen gezeigt hat – auch in der Territorialpolitik des Erzstifts vielfach Anwendung fand31. Bereits während der formativen Phase des Lehnsrechts, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts einsetzt, nutzten die Main- zer Erzbischöfe Lehensauftragungen für friedensstiftende Zwecke. Die sich ausdiffe- renzierenden und immer detaillierter gestalteten Bestimmungen in den Urkunden er- möglichten es, den für einen Frieden nötigen konsensualen Interessenausgleich in der neuen Sprache des Lehnrechts zu formulieren32. Zwar wird in den darüber ausgestell- ten Urkunden in der Regel betont, dass die Auflassung freiwillig geschehen sei, doch sind jeweils die territorialpolitischen und dynastischen Zusammenhänge zu berück-
29 LU 2. Es handelt sich hierbei um ein für den Mainzer Lehenshof frühes Beispiel eines Lehensreverses, der erst im 15. Jahrhundert den vom Lehnsherrn ausgestellten Lehensbrief zu verdrängen begann. Vgl. Walter martini, Der Lehnshof der Mainzer Erzbischöfe im späten Mittelalter, Düsseldorf 1971, S. 134–136, wonach Lehensreverse im 13. Jahrhundert zuerst bei Burglehen begegnen.
30 Vgl. sPiess, Lehnswesen (wie Anm. 23), S. 37 f.; vgl. dazu aus rechtshistorischer Perspektive Thomas Brückner, Lehensauftragung (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 258), Frankfurt/M. 2011. Zur Funktion von Lehensauftragungen in der Konfliktbeilegung ebd., S. 64–81. In der rechtsgeschicht- lichen Terminologie wird für die Lehensauftragung im Rahmen der Konfliktbeilegung der Terminus „Sühnelehen“ verwendet.
31 Stefan Grathoff, Mainzer Erzbischofsburgen. Erwerb und Funktion von Burgherrschaft am Beispiel der Mainzer Erzbischöfe im Hoch- und Spätmittelalter (Geschichtliche Landeskunde 58), Stuttgart 2005, S. 139 ff.
32 Stefan Burkhardt, Lehnsrechtliche Ordnungsvorstellungen in den Urkunden der Erzbischöfe von Mainz und Köln, in: dendorfer/deutinGer (Hrsg.), Lehnswesen (wie Anm. 2), S. 177–193, hier S. 188 ff. Zur Ausdifferenzierung und Formalisierung des Lehnsrechts vgl. Karl-Heinz sPiess, Formalisierte Autorität. Entwicklungen im Lehnsrecht des 13. Jahrhunderts, in: HZ 195 (2012), S. 62–77.


































































































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