Page 143 - Langsdorfer Verträge Inhalt
P. 143

GEWOHNHEITEN DER KONFLIKTBEILEGUNG IM 13. JAHRHUNDERT 123
compositio auch weiterhin in mainzischem Besitz verbleiben. Die Einkünfte der Vogtei sowie sämtliche Nutzungen des Waldes Burgholz sollten hingegen nach alter Gewohn- heit jeweils zur Hälfte dem Erzstift und dem Landgrafen zustehen. Daher sollten auch die zuständigen Waldhüter – custodes silve – gemeinsam bestimmt werden, weil keine der beiden Parteien den Leuten in der Stadt oder in den Dörfern der Vogtei Wetter Geld abpressen dürfe, sondern dies nur im Konsens und nach gemeinsamem Entschluss geschehen solle. Dem Schutz der Bewohner vor ungerechtfertigten Abgabenforde- rungen diente ebenfalls die Bestimmung, dass beide Herren die Kosten ihres Aufent- haltes in der Stadt Wetter selbst zu bestreiten hatten, bei Aufenthalten in Dörfern der Vogtei die Kosten hingegen jeweils vom anderen übernommen werden mussten. Die Lasten der Gastung (hospitium) wurden also nicht den Einwohnern aufgebürdet, son- dern mussten jeweils vom Mit-Herrn getragen werden11. Die Bedeutung des gemeinsa- men Besitzes der Vogtei Wetter fand auch auf der Ebene symbolischer Praktiken ihren Ausdruck. So behielten sich beide Vertragspartner das Recht vor, persönlich im Burg- wald zu jagen oder durch von ihnen bestimmte Jäger jagen zu lassen12.
Der Text der Urkunde beruft sich hinsichtlich der geteilten Herrschaft über die Vogtei Wetter zwar auf eine alte Gewohnheit, doch bezeichnet diese Formel eher den aktuell erzielten Konsens darüber als eine wirklich über längere Zeit geübte Praxis. Die Vogtei war nämlich als Mainzer Lehen mit dem gisonischen Erbe zunächst ungeteilt an Landgraf Ludwig I. gefallen. In den 1190er Jahren versuchte dann Erzbischof Konrad von Wittelsbach die Ludowinger aus dieser Herrschaftsposition zu verdrängen, wobei er gemeinsam mit Erzbischof Adolf von Köln auch einen Kriegszug gegen die land- gräflichen Besitzungen in Hessen unternahm und dabei die Stadt Grünberg in Ober- hessen zerstörte13. Hinter der Formel von der alten Gewohnheit verbirgt sich also ein Teilerfolg des Mainzer Erzbischofs, der die Vogtei Wetter zwar nicht vollständig, aber immerhin zur Hälfte in seine unmittelbare Verfügungsgewalt bringen konnte.
Im Fall der Vogtei Wetter erlaubt es die Überlieferung, die Vorbereitung der Main- zer Lehenspolitik nachzuvollziehen. Bereits am 11. November 1247 hatte Lutrud, Äbtissin des Kanonissenstifts Wetter, in einer Urkunde das von ihren Vorgängerin- nen überkommene Wissen über die Vogteiverhältnisse niedergelegt. Danach stand die
11 Analog zur Königsgastung ist unter hospitium hier die Pflicht der Untertanen zur Beherbergung und Ver- pflegung des Landesherrn zu verstehen. Vgl. Carlrichard Brühl, Art. Gastung, in: LexMA 4 (1989), Sp. 1137 f.
12 Zur Bedeutung der Jagd als symbolische Praxis der Herrschaftsausübung vgl. Joseph morsel, Jagd und Raum. Überlegungen über den sozialen Sinn der Jagdpraxis am Beispiel des spätmittelalterlichen Fran- ken, in: Werner rösener (Hrsg.), Jagd und höfische Kultur im Mittelalter (Veröff. MPI 135), Göttingen 1997, S. 255–287.
13 Karl E. demandt, Geschichte des Landes Hessen, 2. Aufl. Kassel 1972, ND Kassel 1980, S. 175. Böh- mer/will, XXX (Erzbischof Konrad I., Zweites Pontifikat), S. 85, Nr. 240 (Belehnung des Grafen Wer- ner von Wittgenstein nach dem Tod Landgraf Hermanns, 1190); S. 110 Nr. 384 (Verpfändung der Vog- tei an den Grafen von Wittgenstein während des 4. Kreuzzugs, um 1199). Zu Wetter vgl. Hans Patze, Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen, Bd. 1 (Mitteldeutsche Forschungen 22), Köln, Graz 1962, S. 197 ff.; Wilhelm A. eckhardt, Das Weistum von Wetter, in: Hess.Jb.LG 40 (1990), S. 11–24, Edition: S. 19–22.


































































































   141   142   143   144   145