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Die Langsdorfer Verträge im Kontext
der Gewohnheiten der Konfliktbeilegung im 13. Jahrhundert*
Steffen Krieb
In einer Geschichte der Techniken der Konfliktregulierung im Mittelalter nimmt das 13. Jahrhundert eine besondere Stellung ein. Während die Forschung für Fragen nach den Gewohnheiten der Streiterledigung für die Zeit vom 10. bis 12. Jahrhundert zu- meist auf erzählende Quellen angewiesen ist, die das Augenmerk auf demonstrative und symbolische Handlungen lenken, stehen nun in zunehmendem Maße schriftlich fixierte Vereinbarungen der Konfliktparteien zur Verfügung, die Einblick in differen- ziertere Bestimmungen ermöglichen. Neben die Technik der Vermittlung durch von beiden Seiten akzeptierte Vertrauenspersonen treten verstärkt schiedsgerichtliche Ver- fahren der Konfliktregulierung, ohne dass ältere Formen völlig abgelöst würden. In- nerhalb des 13. Jahrhunderts haben in dieser Hinsicht insbesondere die unter dem problematischen Begriff des Interregnums firmierenden Jahrzehnte zwischen dem Ende Friedrichs II. und der Königswahl Rudolfs von Habsburg die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Auch wenn das Bild einer völligen Anarchie als über- zogen abzulehnen ist, machte sich doch die Abwesenheit eines handlungsfähigen Kö- nigs oder eines anerkannten Repräsentanten als Friedensstifter bemerkbar1. Außer auf das Problem der Sicherung des Landfriedens, dessen sich – wenn auch kurzzeitig und mit wenig Erfolg – eine große Zahl von Städten im Zusammenschluss des Rheini- schen Bundes annahm, wirkte sich der Ausfall des Königtums als friedensstiftender Instanz auf die Konflikte zwischen den Fürsten aus. Daher lässt sich in der Mitte des 13. Jahrhunderts eine Neigung zur Erprobung neuartiger Modelle der Konfliktlösung und Entscheidungsfindung beobachten, ohne dass daraus eine Kausalität abzuleiten wäre. Das Interregnum brachte diese neuen Formen nicht hervor, sondern wirkte eher als Katalysator für deren Rezeption aus anderen Regionen und Kontexten. Mit Hilfe von zunehmend komplexer formulierten Bestimmungen sollten Friedens- und Bünd- nisverträge nicht mehr nur vergangene Konflikte beenden, sondern auch künftige ver- hindern bzw. Verfahren zu deren Beilegung festlegen. Solche Formen der Konflikt- beilegung wurden in Oberitalien bereits im 12. Jahrhundert praktiziert, fanden aber ebenso wie das im kirchlichen Kontext bereits erprobte Schiedsverfahren in der Situ- ation fehlender königlicher Präsenz im sog. Interregnum in Deutschland in bis dahin nicht bekanntem Ausmaß Anwendung.
* Gerd Althoff zum 70. Geburtstag
Vgl. das konzise Resümee der jüngeren Konfliktforschung zur Bedeutung des Interregnums für die Ent- wicklung der Konfliktbeilegungsmechanismen bei Wolfgang stürner, Dreizehntes Jahrhundert, 1198– 1273 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 6), 10. Aufl. Stuttgart 2007, S. 309–313. Die wichtigsten Arbeiten zum Thema sind Garnier; kaufhold; Hermann kamP, Friedensstifter und Ver- mittler im Mittelalter, Darmstadt 2001.
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