Page 138 - Langsdorfer Verträge Inhalt
P. 138

118 MATTHIAS WERNER
Hier spielte die Frage der Mainzer Kirchenlehen von den ersten Wochen nach dem Tode Heinrich Raspes an wesentlich stärker noch als in Thüringen eine entscheidende Rolle. Ihre Einbehaltung und Inbesitznahme durch den Erzbischof, insbesondere des Landge- richtes Maden, bereits im März 1247 gefährdete die Herrschaft Hessen in ihren Grund- lagen so sehr, dass Sophie von Brabant 1250 die Hassia Heinrich dem Erlauchten zur Verwaltung übertrug. 1254/56 veranlasste die erneute Bedrohung durch den Erzbischof Sophie, das folgenreiche Heiratsbündnis mit Herzog Albrecht von Braunschweig einzu- gehen. 1261, obgleich sie zu dieser Zeit bereits eine gesicherte Herrschaft in der Hassia und im Landgericht Maden ausübte, war durch die erzbischöfliche Exkommunikation wegen der Kirchenlehen wiederum massiver Druck seitens des Erzbischofs bis hin zu mi- litärischem Vorgehen zu befürchten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche De- stabilisierung ihrer Herrschaft von der ungelösten Frage der Kirchenlehen ausging, und lässt sich ermessen, welche Bedeutung die Klärung dieses Problems für die Herrschafts- ausübung und den Herrschaftsaufbau Sophies und ihres Sohnes Heinrich besaß.
Die Langsdorfer Verträge bedeuteten von daher einen entscheidenden Schritt und stell- ten zweifellos die wichtigste Vereinbarung Sophies während ihrer gesamten Regierungszeit dar. Die Legitimierung ihrer zu einem großen Teil auf Kirchenlehen beruhenden Macht- stellung und Herrschaftsausübung vor allem in Nordhessen sicherte ihre bis 1263 erreich- te Position und bildete eine wesentliche Grundlage für den weiteren Aufbau ihrer übergräf- lichen Herrschaft. Damit nahmen die Langsdorfer Verträge in dem Prozess, der seit 1247 mit der Nachfolge im ludowingischen Erbe zugleich die politisch-territoriale Neugestaltung in der Mitte des Reiches einleitete, eine herausgehobene Rolle ein. Dieser Prozess war, dies zeichnete sich bereits mehrfach deutlich ab, aufs engste mit den Anfängen der Landgraf- schaft Hessen verbunden, die selbst wiederum einen wesentlichen Teil dieser Neugestaltung bildete. Auf dem Weg, der seit der eigenständigen Herrschaftsübernahme durch den lant- gravius Henricus dominus Hassie 1264/65 zur wachsenden Annäherung von persönlicher fürst- licher Stellung und politisch-territorialem Gewicht der Herrschaft führte und damit von hessischer Seite die förmliche Erhebung in den Reichsfürstenstand von 1292 vorbereitete, waren die Langsdorfer Verträge eine zentrale Etappe und besaßen weit höhere Bedeutung als der hessisch-wettinische Ausgleich vom Spätherbst 1264. Insofern stehen die Langsdor- fer Verträge zwar nicht an den Anfängen der Landgrafschaft Hessen und erst recht nicht an denen des Landes Hessen. Wohl aber nehmen sie unter den Bedingungsfaktoren, die den für die hessische und mitteldeutsche Geschichte hoch bedeutsamen Akt von 1292 vorberei- teten, im Kontext der Entwicklungen nach 1247 eine herausragende Stellung ein.
Damit bildeten die Langsdorfer Verträge einen besonders markanten Teil des kom- plexen, folgenreichen Geschehens, das im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags stand. Sie erinnern so detailliert und authentisch wie kein anderes Zeugnis an die Er- eignisse selbst und an die mit diesen verbundene, weit über Hessen hinaus bis heute nachwirkende Neugestaltung in der Mitte des Reiches. Nachdem sie lange zu Unrecht im Schatten des wissenschaftlichen und allgemeinen Interesses standen, bietet die 750. Wiederkehr ihrer Niederschrift den willkommenen Anlass, den Langsdorfer Verträgen erstmals umfassender jenen Rang in der historischen Erinnerungskultur Hessens und Thüringens zuzuweisen, der ihnen als einem hoch bedeutsamen Dokument gemein- samer Geschichte beider Länder und des gesamten mitteldeutschen Raums gebührt.


































































































   136   137   138   139   140