Page 136 - Langsdorfer Verträge Inhalt
P. 136

116 MATTHIAS WERNER
spätmittelalterlichen thüringischen und vor allem hessischen Landeschronistik weite Ver- breitung erfahren und auch Eingang in die moderne Forschung gefunden.
Nach dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchungen, die damit bereits mehr- fach geäußerte Forschungsmeinungen bestätigen, ist dem gegenüber klar festzuhal- ten, dass Sophie von Brabant weder in der Erbregelung von 1243 für die Nachfolge in der Landgrafschaft Thüringen vorgesehen war noch nach 1247 Ansprüche auf die Landgrafschaft erhob. Zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Sophie und Heinrich, die jedoch allein den vorenthaltenen Alloden und Kirchenlehen Sophies in Thüringen galten, kam es, wie oben schon erwähnt, lediglich in der zweiten Jahreshälf- te 1259 oder in den ersten Monaten des Jahres 1260, und sie waren nur von kurzer Dauer. Aus doppeltem Grunde also ist die Vorstellung eines „Thüringisch-hessischen Erbfolgekrieges“ unzutreffend. Erst recht evoziert die verbreitete Verwendung dieses Begriffs für den gesamten Prozess vom Tod Heinrich Raspes 1247 bis zum hessisch- wettinischen Ausgleich von 1264 ein Bild, das in den zeitgenössischen Quellen keiner- lei Entsprechung findet und das dem komplexen Geschehen auch nicht annähernd ge- recht wird. Die Bezeichnung, die zudem weit über die Ereignisse von 1247 bis 1264 hinaus die vielfältigen historischen Verflechtungen zwischen Thüringen und Hessen mit einer irreführenden Färbung versieht, sollte künftig für die hier untersuchten Vor- gänge vermieden werden.
Das geregelte Nebeneinander der wettinischen Landgrafschaft Thüringen und der brabantisch-ludowingischen Herrschaft Hessen, das 1264/66 am Ende des hier be- handelten Prozesses stand, spiegelt eine weitreichende herrschaftlich-territoriale Neu- gestaltung in dieser geographisch in der Mitte des Reiches gelegenen Region wider. Die schließlich 1254 in Thüringen und 1263 in Hessen erfolgte Umsetzung der Erb- teilungspläne von 1243 hatte weitreichende Umschichtungen zur Folge. Die Eingliede- rung des ludowingischen Thüringen in den großen wettinischen Herrschaftskomplex führte – trotz des weiter bestehenden vielfältigen kirchlichen und weltlichen Einflus- ses des Mainzer Erzbistums – zu einer stärkeren Umorientierung nach Osten und schuf neue Rahmenbedingungen thüringischer Geschichte, die bis tief in das 20. Jahr- hundert nachwirkten. Der Aufstieg der eigenständigen Herrschaft Hessen von den 1263 bestätigten Grundlagen aus zu einem neuen Fürstentum im Jahre 1292 ließ in dem Raum zwischen Thüringen, Braunschweig und Westfalen einen neuen gewichti- gen Machtfaktor entstehen, der in steter Expansion nach Westen, Süden und Osten schließlich zur beherrschenden Kraft in diesem Teil der Reichsmitte wurde.
Diese weitreichenden Entwicklungen, die ihren Ausgang von der Einrichtung der fürstlichen Herrschaft Hessen durch Heinrich Raspe und den darauf beruhenden Tei- lungsplänen von 1243 nahmen und die erst durch den Prozess von 1247/64 entschei- dend in Gang gebracht wurden, dürfen durchaus als eine Neugestaltung in der Mitte des Reiches gelten. Sie bewahren ihre Bedeutung, auch wenn die geographische Mit- te sich nicht mit der politischen Mitte deckte, sondern nach Peter Moraw eher einen


































































































   134   135   136   137   138