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NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 109
anerkannt, als Grundlage jener politisch-territorialen Umorientierungen und Neufor- mierungen dienen konnten, die seitdem der Mitte des Reiches ihre Gestalt verliehen. Entsprechend wurden die Ereignisse, die als Umbruchs- und Auseinandersetzungs- prozess zeitweise den gesamten Raum zwischen Mittelrhein und mittlerer Elbe einbe- zogen und zahlreiche Zeitgenossen betrafen, bereits zu ihrer Zeit – insbesondere in Thüringen – lebhaft von der Geschichtsschreibung wahrgenommen. Noch viel stärker aber wirkten sie wegen ihrer weitreichenden territorialen und politischen Folgen in der Traditionsbildung der Nachwelt nach, deren immer stärker überformende Darstellung die Sichtweise auf das Geschehen z. T. bis in die Gegenwart prägte.
Die wesentlichen Weichenstellungen waren bereits in spätludowingischer Zeit er- folgt. Nach einer kurzen Phase der Personalunion der Fürstentümer Landgrafschaft Thüringen und Pfalzgrafschaft Sachsen mit der zuvor als Sekundogenitur im Grafen- rang behandelten Herrschaft Hessen seit dem Ende des 12. Jahrhunderts unter den Landgrafen Ludwig III., Hermann I. und Ludwig IV. nahm erstmals Landgraf Hein- rich Raspe (1227–1247) seit den frühen 1230er Jahren eine Mitbeteiligung jüngerer, erbrechtlich nachgeordneter männlicher Familienmitglieder wie seines Bruders Kon- rad (1231) und seines Neffen Hermann (1238) an der Regierung in der Weise vor, dass er ihnen die Herrschaft Hessen übertrug, ihnen zugleich aber mit der Führung des thüringischen Landgrafentitels den Aufstieg zu persönlich-dynastischem fürstlichen Rang ermöglichte. Hierbei war – erbberechtigte Nachkommen vorausgesetzt – durch- aus an eine dauerhafte Verselbstständigung Hessens unter einer eigenen fürstlichen Dynastie innerhalb des dynastischen und herrschaftlichen Verbandes der Ludowin- ger gedacht.
Diese Praxis, die einer deutlichen Aufwertung des bisherigen Nebenlandes Hessen gleichkam, legte Heinrich Raspe zugrunde, als er sich 1243 – als einziger verbliebener männlicher Vertreter des ludowingischen Hauses und ohne Hoffnung auf eigene Kin- der – mit Kaiser Friedrich II. und seinen vorrangig erbberechtigten Seitenverwand- ten über die Aufteilung des ludowingischen Herrschaftskomplexes für den Fall sei- nes kinderlosen Todes verständigte. Die damals getroffene Regelung sah vor, dass die Landgrafschaft Thüringen und die kleine Pfalzgrafschaft Sachsen an Heinrich Raspes staufertreuen, erbrechtlich bevorrechtigten Neffen Markgraf Heinrich den Erlauchten von Meißen fallen sollte. Mit ihm schien der Verbleib dieser beiden Fürstentümer zu- mindest in der weiteren Dynastie am ehesten garantiert, da der Kaiser mit der Eventu- albelehnung Heinrichs des Erlauchten von 1243 die Zustimmung zu dessen Nachfolge erteilte. Entsprechend seinem bisherigen Verfahren gegenüber erbrechtlich nachge- ordneten Familienmitgliedern vereinbarte Heinrich Raspe mit Sophie, der Tochter und einzigen erbberechtigten Nachkommin seines 1227 verstorbenen, regierenden Bru- ders Ludwig IV., und vor allem wohl mit deren Gemahl, seinem Schwiegervater und engen politischen Verbündeten Herzog Heinrich II. von Brabant, dass die Herrschaft Hessen an sie und ihre künftigen Erben übergehen sollte. Als Ausgleich für die ihnen versagten Fürstentümer wurden ihnen hochrangige und umfangreiche ludowingische Allode und Kirchenlehen in Thüringen wie insbesondere die Wartburg und die Stadt


































































































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