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98 MATTHIAS WERNER
der Bedeutung Eschweges als des wichtigsten städtischen Zentrums des Werra-Rau- mes und seines Status als villa regia ein Versehen oder eine Traditionslücke des Rein- hardsbrunner Kompilators für unwahrscheinlich, dann müssten andere Wege für den Übergang Eschweges von dem Welfenherzog an Landgraf Heinrich gesucht werden. Doch setzen bei der großen Quellenarmut der Zeit alle denkbaren Erklärungen ein so hohes Maß zusätzlicher Vermutungen voraus, dass die späte, äußerst verknappte historiographische Überlieferung der Vertragsinhalte hierfür nicht ausreichend belast- bar erscheint441. Bei dem derzeitigen Forschungsstand ist eine sichere Entscheidung nicht möglich. Die höhere Wahrscheinlichkeit spricht mit dem Großteil der Forschung dafür, dass auch Eschwege zu jenen municiones Herzog Albrechts zählte, die bei den Vereinbarungen vom Spätherbst 1264 zunächst an die Wettiner und von diesen an Heinrich von Hessen übergingen442. Weshalb dieser bedeutendste der damals an die hessische Seite gelangten Werra-Orte nicht in dem Reinhardsbrunner Bericht erwähnt wurde, muß allerdings offen bleiben.
Dass man gerade in Reinhardsbrunn Kenntnis von diesem Frieden besaß und ihn in die große klostereigene Chronik von 1340/49 aufnahm, erscheint wenig überra- schend. Wie schon die Berichte des Chronisten über Heinrichs des Erlauchten und So- phies Treffen 1253 in Eisenach, über die Kämpfe in und um Eisenach 1259/61 und über Sophies Rückhalt bei den Eisenacher Bürgern 1261 zeigen443, waren in dem al- ten ludowingischen Hauskloster das Interesse und die Anteilnahme an dem Konflikt zwischen den neuen wettinischen Landesherren und den Nachkommen Ludwigs IV. und der hl. Elisabeth um deren Rechte in Thüringen weit höher als in dem damaligen thüringischen historiographischen Zentrum Erfurt. Entsprechend lebhaft dürfte man in Reinhardsbrunn auch den Ausgang dieses Streites verfolgt, sich über die wichtigs- ten Einzelheiten des Friedensschlusses informiert und diese in der klösterlichen Über- lieferung weiter tradiert haben. Sehr wahrscheinlich über einen derartigen Traditions- strang fanden die Nachrichten über den hessisch-wettinischen Ausgleich gemeinsam mit den übrigen Mitteilungen und Erzählungen über Sophie und Heinrich den Er-
441 So böte sich etwa die Hypothese an, dass Eschwege als villa regia nicht in die Freilassungs- und Abfin- dungsverhandlungen von 1264 einbezogen wurde, aber durch den Verlust aller übrigen Werra-Orte für Herzog Albrecht als weit abgelegene Exklave weitestgehend an Wert verlor. Der Übergang Eschweges an seinen Schwager Heinrich von Hessen einerseits und der Verbleib der 1247 von Albrechts Vater Otto in Besitz genommenen, bis dahin zu Hessen gehörigen Stadt Münden bei den Herzögen von Braun- schweig andererseits ließe sich dann plausibel damit erklären, dass die Stadt Eschwege im Zuge der 1264 eingetretenen Machtverschiebungen im Werra-Raum Heinrich von Hessen von Herzog Albrecht gegen dessen endgültigen Verzicht auf Münden überlassen wurde, sofern dieser Verzicht nicht bereits im Zu- sammenhang mit den welfisch-hessischen Heiratsbündnissen von 1254 bzw. 1261/62 erfolgt war. Doch muß dies alles rein spekulativ bleiben und zeigt lediglich die Quellenprobleme auf, die durch die alleini- ge Überlieferung des Vertrags in der Reinhardsbrunner Chronik gegeben sind.
442 So nach dem eher zurückhaltenden Urteil von ilGen/VoGel, s. 195 f., in Anschluss an Grotefend/ro- senfeld, S. 32, Nr. 86, nahezu die gesamte nachfolgende Forschung.
443 Dazu oben S. 66 f.


































































































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