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HUANG DI NEI JING LING SHU
weitergeleitet werden. Unter den üblen Qi, die von außen in den Kör- per eindringen, ist zwischen den so genannten „rechten Übeln“, zheng xie 正邪, und den Leere-Übeln, xu xie 虛邪, zu unterscheiden. Erstere sind jahreszeitlich bedingte klimatische Qi, wie Hitze, Kälte, etc., die im Grunde „rechtschaffen“, zheng 正, sind, weil sie zu der zu ihnen pas- senden Jahreszeit auftreten. Sie werden trotzdem zu einem „Übel“, weil sie sich unpassend in den menschlichen Körper begeben. Die „Leere- Übel“ hingegen sind schon von Anfang an fehl am Platz. Das ist etwa die Hitze, die im Winter kommt anstatt im Sommer und dann in den Körper eindringt. „Rechtes Übel“ und „Leere Übel“ können unterschied- liche Krankheiten hervorrufen. Die Krankheit nimmt hier in der Regel einen ontischen Charakter an. Sie ist konkret vorhanden, kann lokali- siert, sogar mit den Fingern erfasst und, wie unten in dem Abschnitt zur Therapie auszuführen ist, konkret entfernt werden.
„Leere-Übel“ und „rechtes Übel“ bilden einen Gegensatz; „Leere“ und „Fülle“ sind ein anderer. Immer wieder findet sich im Ling shu die Auf- forderung, eine Leere sei aufzufüllen, eine Fülle sei abzuleiten. Das hat zum Teil tatsächlich die Bedeutung eines „Zuwenig“ im Gegensatz zu einem „Zuviel“, vor allem an Qi. Es hat aber auch eine andere Bedeu- tung, wenn Leere als Mangel an rechten Qi und Fülle als Vorhandensein von üblen Qi verstanden wird.
Wenn Wind und Kälte in die Gefäße eingedrungen sind, kann das den Fluss von Blut und Qi blockieren; solche Blockaden sind die häufigs- te Ursache von Schmerz, von Schwellungen und auch von den bereits erwähnten Stockungs- und Hindernisleiden, die dann wiederum die Ur- sache von Abszessen, Karbunkeln und ähnlichen Läsionen sind.
Das Aufeinanderprallen von üblen Qi und Wächter-Qi führt wieder- um zu eigenen Zuständen. Die werden auch dadurch beeinflusst, dass der Kreislaufgedanke, demzufolge in je einem auf der linken und auf der rechten Körperhälfte durchgängigen Leitbahnsystem das Blut und die Qi zirkulieren, im Ling Shu wie im Su wen mit einer Vorstellung konkurriert, die dem Kreislaufgedanken zu widersprechen scheint. Dem- zufolge sind die einzelnen Abschnitte der Leitbahnen, die den jeweils drei unterschiedlichen Yin-Abstufungen Groß-Yin, Minder-Yin und Zurückweichende-Yin und den drei unterschiedlichen Yang-Abstufun- gen Groß-Yang, Yang-Helligkeit und Klein-Yang zugeordnet sind, von jeweils unterschiedlichen Proportionen Blut und Qi gefüllt.
Die Dialoge dienen häufig der Erläuterung von allgemeinen Krank- heitssymptomen auf der Grundlage dieser Konzepte. Sie greifen dabei zurück auf die beiden Grundlehren der säkularen Naturlehre der sys-
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