Page 28 - 14-0491_Cygnus_Antike_Klassiker-3_Inhalt_1.indd
P. 28

HUANG DI NEI JING LING SHU
Der Grundgedanke, dass es sinnvoll sei, für den einzelnen Menschen mit seiner Lebensführung und für den medizinischen Praktiker durch frühzeitiges Eingreifen eine manifeste Erkrankung zu verhindern, fin- det sich mehrfach im Ling shu. So heißt es, in unmittelbarer Parallele zu der soeben zitierten Passage aus dem Su wen in Ling shu Kapitel 55:
Der herausragende Praktiker heilt dort, wo noch keine Krankheit ist. Er heilt nicht, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist.
Aber um dieses Ziel zu erreichen, muss man zunächst einmal die Ur- sachen des Krankseins kennen. So blieb die Vielfalt dieser Ursachen den damaligen Beobachtern nicht verborgen. Dem Credo der neuen Weltanschauung getreu wurden zunächst einmal alle nicht-natür- lichen Krankheitsursachen ausgeschlossen. Der „Himmel“, so wird verschiedentlich betont, ist absolut neutral. Ihm kann man nichts anlasten.
In Kapitel 58 des Ling shu ist diesem Gedanken eine ausführliche Diskussion gewidmet. In einem der bemerkenswertesten Dialoge des gesamten Texts stellt Huang Di viele Fragen zum Zusammenhang zwi- schen externen pathogenen Einflüssen und der, wie wir heute sagen würden, psychischen Verfassung von Menschen einerseits und deren Erkrankung andererseits und wird jedes Mal von Qi Bo mit deutlichen Worten aufgeklärt. Schließlich endet die Aussprache mit den Zweifeln Huang Dis:
Wenn jemand keinen üblen Qi begegnet ist, wenn jemand kein furchtsames Gemüt hat und trotzdem plötzlich krank wird, was ist dafür der Grund? Könnte es nicht auch wegen der Aktivitäten von Dämonen und Geistern sein?
Diese Frage möchte vielleicht auch heute jemand stellen, der nicht ganz von der rein säkularen Erklärung aller Lebensvorgänge überzeugt ist. Qi Bo erwiderte darauf:
Auch dabei handelt es sich darum, dass ein altes Übel [im Kör- per] verblieben ist, ohne auszubrechen. Wenn ein Gemüt gegen irgend etwas eine Aversion hat oder irgend etwas Besonders be- gehrt, dann werden das Blut und die Qi im Inneren gestört und die beiden Qi schlagen aufeinander ein. Die Anfänge sind sehr subtil.
XXVI


































































































   26   27   28   29   30