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76 MATTHIAS WERNER
Ausgangsposition328 und diese Perspektiven dürften ihn bewogen haben, seiner Schwie- germutter Sophie und deren Sohn, seinem Schwager Heinrich von Hessen, Beistand zu leisten, als diese beabsichtigten, mit ihren sehr viel bescheideneren militärischen Mög- lichkeiten eine Rückgabe ihrer thüringischen Erbgüter von Markgraf Heinrich und des- sen Söhnen zu erreichen329. Hier eröffnete sich ihm die Chance, Sophies und Heinrichs Bemühungen zur Durchsetzung ihres Rechts für einen Eroberungszug in eigenem ter- ritorialen Interesse zu nutzen. Entsprechend stellte er sich, wie die Peterschronik und die Braunschweigische Reimchronik als die ältesten Quellen hierzu berichten, an die Spitze der militärischen Aktionen. Er zog, unterstützt von vunfhundert ritter unte knaphen Sophies, unter Verwüstung des Landes und wohl auch der Zerstörung Creuzburgs330
kennen, dass die Bürger von Mühlhausen – deren Stadt Landgraf Albrecht 1258 noch zu „unseren Städ- ten“ gezählt hatte, Brinkmann (wie Anm. 251), S. 98 – in den temporibus prelii auf Seiten des Braunschwei- ger Herzogs gegen Landgraf Albrecht gestanden hatten; vgl. auch unten Anm. 482.
328 Zu der Frage, inwieweit das – mit dem Erwerb Allendorfs und Witzenhausens durch Herzog Albrecht fast auf den Tag genau gleichzeitige – Bündnis Landgraf Albrechts von Thüringen mit den ihrerseits verbündeten, vorwiegend westthüringischen „unseren Städten“ Mühlhausen, Eisenach, Gotha, Nord- hausen und Weißensee vom 24.2.1258 eine Reaktion auf den wachsenden braunschweigischen Druck darstellte und dem Übergang einzelner dieser Städte an den Welfenherzog vorbeugen sollte, vgl. kälB- le im vorliegenden Band.
329 Die Kräfteverhältnisse zwischen der wettinischen und der hessischen Seite waren, auch wenn mit dem Wankelmut einzelner thüringischer Grafen und Städte sowie mit einer verbreiteten antiwettinischen Stimmung zu rechnen war, so ungleich verteilt, dass Sophie m. E. ohne die Hilfe und vor allem ohne das Eigeninteresse Herzog Albrechts an einem Kriegszug nach Thüringen gar nicht hätte daran denken können, ein solches kriegerisches Unternehmen zu beginnen. Auf den ersten Blick fügt es sich voll in die Konstellation der Jahre 1258/60 ein, wenn die Reinhardsbrunner Chronik (wie Anm. 244), S. 622, das militärische Zusammengehen Sophies und ihres Sohnes Landgraf Heinrich mit Herzog Albrecht und den Kriegszug Albrechts nach Thüringen zum Jahre 1258 berichtet und in diesem Zusammenhang mitteilt, dass Landgraf Heinrich propriis diffidens viribus ducem de Brunswig Albertum adiit filiamque suam des- ponsavit sibi, ut eius auxilio posset resistere suis adversariis. Doch lässt sich nicht nur die Datierung des Kriegs- zuges auf 1258, die sich allein in der chronologisch äußerst unzuverlässigen Chronik findet, nicht halten. Die Zweifel gelten auch der Datierung der Verlobung auf 1258, zumal der Autor als Verlobte Landgraf Heinrichs fälschlicherweise die Tochter statt die Schwester Herzog Albrechts nennt; unhinterfragt über- nommen wurden diese Angaben u. a. von Bähr (wie Anm. 208), S. 23 mit Anm. 6, Grotefend/rosen- feld, S. 20, Nr. 56, und zillmann (wie Anm. 50), S. 277. Die fast ein Jahrhundert nach den Ereignissen verfasste Chronik ist die einzige Quelle, die über diese Verlobung berichtet. Landgraf Heinrich hatte nachweislich vor dem Juni 1262 Herzog Albrechts Schwester Adelheid geheiratet, vgl. dazu unten S. 80 Anm. 352. Es ist gut denkbar, dass der Verfasser diese Verlobung ebenso wie die unzutreffend zu 1264 mitgeteilte Verlobung zwischen Landgraf Albrechts Tochter Agnes mit Herzog Albrechts Sohn Hein- rich, vgl. dazu unten S. 56 mit Anm. 434, aus der Retrospektive mit diesen politisch wichtigen Vorgän- gen in Zusammenhang brachte – bzw. in Kenntnis der Verheiratung sogar erfand.
330 Braunschweigische Reimchronik (wie Anm. 208), S. 560, Vers 8171; Vers 8181 f.: und herete al daz lant / hi und dha, so iz was gewant. Erstmals in der Ende des 14. Jahrhunderts im Eisenacher Dominikanerklos- ter entstandenen „Cronica Thuringorum“, die sich in diesen Passagen im wesentlichen auf die Rein- hardsbrunner Chronik stützt, aber einen pro-wettinischen Standpunkt einnimmt, vgl. Anm. 298, findet sich die in der nachfolgenden thüringischen Historiographie breit ausgeschmückte Nachricht über die Eroberung Creuzburgs bei diesem Kriegszug, Johannes Pistorius, Historia Erphesfordensis anonymi scriptoris de lantgraviis Thuringiae, in: Burkhard Gotthelf struVe (Hrsg.), Rerum Germanicarum Scrip- tores [...], Bd. 1, Regensburg 1726, S. 1296–1365, hier S. 1330: Anno Domini MCDCLIX, domina Sophia