Page 28 - Brandmüller_Kardinal_Reprint
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Als einfachste Form der Religionsübung war jedem andersgläubigen Untertan, so- fern er nur im Lande geduldet war, die Hausandacht, das exercitium religionis do- mesticum oder devotio do-mestica reichsrechtlich gesichert. In diesem Falle durfte sich eine Familie samt Hausgenossen zu gemeinsamem Gebet und Gesang versam- meln und dazu ein eigenes Zimmer einrichten. Das wichtigste Recht bestand dar- in, daß man den öffentlichen Gottesdienst der eigenen Religion anderswo besuchen durfte. Per accidens konnte die Zusammenkunft mehrerer Familien zum gemeinsa- men Gebet erlaubt sein. Als annexum des Rechtes auf häuslichen Gottesdienst galt das Recht, die Kinder durch einen Hauslehrer der eigenen Religion unterrichten zu lassen oder sie in auswärtige Schulen zu schicken. Schließlich konnte der Landes- herr ausnahmsweise gestatten, daß von Fall zu Fall ein Geistlicher von auswärts zu Gottesdienst und Sakramentenspendung zugezogen wurde. Mit Erlaubnis des Lan- desherrn durften auch Taufen, Trauungen und Begräbnisse auswärts vorgenommen werden.
Alle diese Formen des Gottesdienstes konnten je nach der örtlichen Rechtslage auf die wesentlichen Stücke beschränkt, bzw. unbeschränkt sein. Eine Zwischen- lösung stellte der sogenannte „vollständige“ Gottesdienst dar, der mehr als die we- sentlichen Stücke umfaßte, aber doch gewissen Einschränkungen unterworfen war.
Mit dem Recht auf ein Religionsexerzitium war noch keineswegs das Recht auf die actus parochiales verbunden6. Diese standen allein dem parochus loci zu. Al- lerdings konnte, wer das Recht auf öffentlichen oder privaten Gottesdienst besaß, nicht gezwungen werden, seine Kinder von einem andersgläubigen Geistlichen tau- fen zu lassen6a. Aber auch in diesem Fall hatte der parochus loci den Anspruch auf die Stolgebühren. Auch der geistliche Beistand bei Hinrichtungen, genauer die Be- gleitung des Delinquenten zum Richtplatz, war ein Recht, das der parochus loci der herrschenden Religion beanspruchte7.
Ganz anders lag der Fall, wenn einer konfessionellen Minderheit eine über die wesentlichen Stücke der Hausandacht hinausgehende Religionsübung „aus Gna- den“ vom Landesherrn zugestanden wurde. Unter diesen Umständen lag es aus- schließlich im Belieben des Landesherrn, Art und Umfang des zugestandenen Got- tesdienstes durch eine bis ins einzelne gehende Konzessionsakte zu bestimmen. Auch konnte der Landesherr dieser Konzession eine Widerrufsklausel beifügen, de- ren er sich im gegebenen Augenblick bedienen konnte, ohne daß es für die Betrof- fenen ein Rechtsmittel dagegen gegeben hätte. Das einzige, was in diesem Falle erklagt werden konnte, waren die wesentlichen Stücke der Hausandacht und die Gewissensfreiheit.
Ernste Konfliktsfälle traten immer wieder auf, wenn es um die religiöse Erziehung von Kindern aus gemischten Ehen ging. Für diese Fälle gab es kein allgemein gelten-
6 Moser, Landeshoheit 440 ff, 471.
6a Weder im Fürstentum Ansbach, noch in Bayreuth wurde aber darauf Rücksicht genommen. 7 Moser, Landeshoheit 451.
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