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HUANG DI NEI JING LING SHU
Beispiel für eine therapeutische Anweisung, die auf einen eingehenden theoretischen Diskurs folgt:
Huang Di:
Wenn ein Mensch traurig ist und weint, welche Qi bewirken das? Qi Bo:
Das Herz ist der Herrscher unter den Fünf Langzeit- und Sechs Kurzzeitspeichern. Die Augen sind der Ort, wo sich die Stammge- fäße versammeln. Sie sind der Weg, den die Flüssigkeiten nehmen, wenn sie nach oben aufsteigen. Mund und Nase sind die Tore der Qi. Es ist nämlich so: Wenn jemand traurig oder sehr besorgt ist, dann bewegt sich das Herz. Bewegt sich das Herz, dann schwanken alle Fünf Langzeit- und Sechs Kurzzeitspeicher. Dieses Schwanken wirkt sich auf die Stammgefäße aus. Sind die Stammgefäße be- rührt, dann öffnen sich die Wege für die Flüssigkeiten. Haben sich die Wege für die Flüssigkeiten geöffnet, dann können dort Tränen herauskommen. Hört das Weinen nicht auf, dann werden die Flüs- sigkeiten erschöpft. Sind die Flüssigkeiten erschöpft, dann wird die Essenz nicht mehr befeuchtet. Wird die Essenz nicht mehr befeuch- tet, dann können die Augen nichts mehr sehen. Daher nennt man das „Essenz-Raub“. Man fülle die tian zhu[-Öffnungen] auf den Leitbahnen beidseitig am Nacken auf.
Erläuterungen, welche Funktionen die einzelnen Leitbahnen im Or- ganismus wahrnehmen, welcher Fluss von Blut und Qi normal und welcher abnormal ist, finden sich im Ling shu ebenfalls. Nicht selten hört sich Huang Di Ausführungen seiner Informanten an und entgeg- net schließlich mit immer wieder ähnlichen Worten: „So, das habe ich nun vernommen, aber ich weiß immer noch nicht, warum das so ist!“ Darauf folgt dann oft eine eingehendere Erklärung. Wer diese Abhand- lungen studiert, wird die Therapieanweisungen auch theoretisch besser nachvollziehen können.
Neben dem Nadelstich für die Beeinflussung der Qi steht der Aderlass für die Entnahme von Blut eindeutig im Vordergrund der Therapie- empfehlungen im Ling shu. Darüber hinaus wird das gesamte weitere mögliche therapeutische Spektrum einer Heilkunde durchaus empfeh- lend angesprochen. Abgesehen von wenigen konkreten Rezepturen, um ein Medikament oder eine Kompresse anzufertigen, bleibt es allerdings bei bloßer Nennung der möglichen Alternativen, von denen die Kau- terisation noch am ausführlichsten berücksichtigt wird. Massage und
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