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HUANG DI NEI JING LING SHU
angfu Mi dem Text in dem Vorwort des Jia yi jing zukommen ließ, ist bemerkenswert: „Heute gibt es ein Zhen jing in 9 juan und ein Su wen in 9 juan. Neun plus neun ergeben 18 juan. Es ist teilweise verloren. Die enthaltenen Abhandlungen reichen in ferne Zeiten zurück. Aller- dings besteht der Text vor allem aus Behauptungen und hat nur einen geringen praktischen Wert.“
Magie oder wundersame Kräfte hatte keiner der Autoren im Blick, deren Texte das Ling shu bilden. Tatsächlich ist das Ling shu ein für die da- malige Zeit im wahren Sinne des Wortes revolutionäres Werk.3 Es stellt, wie auch die wahrscheinlich gleichzeitig kompilierten Schwester-Titel Su wen und Nan jing 難經,4 explizit einen Gegenentwurf zu dem seinerzeit vorherrschenden Weltbild dar, das die menschliche Existenz in extremer existentieller Fremdbestimmung deutete. Götter, Geister, Dämonen und Ahnen, sowie „der Himmel“ als abstrakte numinose Kraft, bestimmten Wohl und Wehe eines jeden Einzelnen.5 Güte und Qualität des irdischen Lebens der Menschen, so die herrschende Auffassung, lagen nicht in ih- rer eigenen Macht. Die Autoren, deren Gedanken in den Texten Ausdruck fand, die im Su wen, im Nan jing und im Ling shu bis in die Gegenwart überliefert wurden, bildeten eine Gruppe von Intellektuellen, deren Um- fang und Namen aus gutem Grunde alsbald in die Dunkelheit kollektiven Vergessens abgedrängt wurden. Sie stellten in Frage, was in allen Schich- ten der Bevölkerung selbstverständlich war und über viele Jahrhunderte bis heute selbstverständlich blieb. Sie konfrontierten ihre Gegenwart mit
3 Für den Status der vor-medizinischen Heilkunde in China siehe D. Harper: Early Chine- se Medical Literature: The Mawangdui Medical Manuscripts. London: Routledge, 1998.
4 Eine vollständige annotierte Übersetzung des Su wen bietet: Paul U. Unschuld mit Hermann Tessenow: Huang Di Nei Jing Su Wen. Huang Di’s Inner Classic. Basic Questions. Vol. 1: Treatises 1 through 52. Vol. 2: Treatises 53 through 71 and 74 through 81. The Original Chinese Text with Annotated Translation, in collaboration with Zheng Jinsheng. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press, März 2011. Ein vollständig annotierte Übersetzung des Nan jing bietet: Paul U. Un- schuld: The Chinese Medical Classics. Nan-ching. The Classic of Difficult Issues. With Twenty Commentaries by Chinese and Japanese Authors from the Third through the Twentieth Century. Berkeley, Los Angeles: University of California Press, 1986. Third edition, 1995. Eine deutsche Version sowohl des Su wen als auch des Nan jing ohne Anmerkungen und Bibliographie bietet Paul U. Unschuld: Antike Klassiker der Chine- sischen Medizin. 1. Huang Di Nei Jing, Su Wen. 2. Nan jing. Der Text vollständig und
unkommentiert in deutscher Übersetzung. Berlin: Cygnus Verlag, 2013, 13.
5 Zur existentiellen Fremdbestimmung in der Weltanschauung und religiösen Praxis in der chinesischen Antike siehe Bernard Faure. Michel Strickman (Hrsg.): Chine- se Magical Medicine. Asian Religions and Cultures. Stanford: Stanford University
Press, 2002.
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