Page 26 - StadtAN Ausstellungskatalog Der Erste Weltkrieg
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Blick von Menonville auf Saint-Mihiel, Foto, um 1915. (StadtAN E 48 Nr. 4)
Insgesamt hatte Boeckh zu diesem Zeitpunkt, Anfang 1916, noch den Eindruck, dass die Frömmigkeit insgesamt gestiegen sei. Ledig- lich seine Erfahrungen mit Offizieren, die meist tieferen Fragen wenig zugänglich schie- nen, und mit Kranken, die sich lange im Laza- rett aufgehalten hatten, gaben ihm Anlass zu Skepsis.
Hermann Münderlein6
Hermann Münderlein (1881–1948) war von 1906 bis zu seinem Tod als Katechet und Religionslehrer in verschiedenen Nürnber- ger Schulen tätig. Von August bis Ende 1914 wirkte er als Geistlicher im Feldlazarett 2 des III. Bayerischen Armeekorps, danach war er der Sanitätskompanie 1 der 5. Bayerischen Infanteriedivision zugeteilt, bevor er zum 1. Oktober 1915 als außeretatmäßiger Feldgeist- licher zur 6. Bayerischen Infanteriedivision wechselte. In der Anfangszeit, im Feldlaza- rett, half er auch bei der Krankenpflege mit. Dort und in der Sanitätskompanie erlebte er einen Wechsel zwischen hektischer Aktivität und Phasen der Ruhe, in denen sein Dienst als Seelsorger kaum gebraucht wurde. Da ihn dies nicht befriedigt hatte, war er sogar dank- bar für seine Versetzung zur 6. Division.
In seiner neuen Stellung war er fast aus- schließlich für Gottesdienste zuständig, von denen er sechs bis neun pro Woche hielt. Als anstrengend empfand er dabei die körperliche Belastung durch den Wechsel zwischen län- gerem Reiten und Stehen. Vor allem an den Festtagen versuchte er, bei jedem Truppen- teil einen Gottesdienst zu halten. Mehr als vier waren aber an einem Tag – namentlich im Winter – nicht möglich.
In St. Mihiel wird der Gottesdienst in einer grossen, allerdings durch Granaten beschä- digten Kirche gehalten; die Sitzplätze rei- chen nicht aus, es sind sonntäglich 500–600 Zuhörer (darunter stets auch Offiziere anwe- send), eine schöne und dankbare Aufgabe! Die Gottesdienste ausserhalb St. Mihiel wer- den im Sommer im Freien gehalten, im Win- ter in Baracken, Schmieden, unter der Erde; der Ausschmückung des Raumes nehmen sich gern die Soldaten an, wenn man etwas darauf einwirkt. Die kleinste Hörerzahl beträgt hier 8, die grösste 80, meist 30. Ich liebe gerade diese bescheidenen Gottesdienste besonders. (Seite 9)
Obwohl auch Münderlein zum Zeitpunkt sei- nes Berichts (Januar 1916) noch an eine Stei- gerung der Frömmigkeit durch den Krieg glaubte, die sich vor allem in der Nähe der
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