Page 11 - Mitteilungen-Geschichtsverein Erfurt Heft 22
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Der „Reformator Erfurts“ nimmt Gestalt an
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Der quaderförmige Grabstein aus Seeberger Sandstein misst 186 cm in der Höhe, 105 cm in der Breite und 14 cm in der Tiefe (Abb. 1). Sein Erhaltungs- zustand ist schlecht.7 Die obere linke Ecke fehlt. Die anderen Ecken sowie die Kanten sind sehr stark bestoßen. Die Oberfläche ist abgetreten. Zudem ist der Stein besonders im unteren Drittel durchfeuchtet und von organi- schem Bewuchs überzogen. Man erblickt einen im Halbrelief gearbeiteten Geistlichen im Priesterrock mit einem aufgeschlagenen Buch in den Hän- den und einem Wappen zu seinen Füßen. Er ist nicht axialsymmetrisch aus- gerichtet, sondern leicht gedreht. Sein länglicher Kopf mit breitem Kinn ist geneigt. Er blickt in das Buch. Auffällig ist sein halblanges Haar, unge- wöhnlich das Fehlen einer Kopfbedeckung, des Biretts, mit dem die Geistli- chen üblicherweise dargestellt sind.8 Die Person wirkt ruhig und würdevoll. Eine geschwungene Kelchrankenornamentik rahmt den Geistlichen in den oberen Zwickeln. Von der ehemaligen umlaufenden lateinischen Inschrift, einer gotischen Minuskel, sind nur wenige Buchstaben erhalten. Links auf dem Stein befindet sich eine jüngere Inschrift, eine Kapitalschrift in lateini- scher Sprache, die sich auf eine Nachnutzung des Steins bezieht. Die künst- lerische Qualität des Steins lässt sich durch die abgetretene Oberfläche nur eingeschränkt beurteilen. Es handelt sich um ein durchschnittliches, kein herausragendes Werk. Formal und stilistisch gehört es zu einer Gruppe Erf- urter Grabsteine der Frührenaissance aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die der Werkstatt des Meisters „AB“ zugerechnet werden, dessen bedeutends- tes Werk der Grabstein für Heinrich Eberbach (gest. 1547) in der Allerhei-
7 Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie [künftig TLDA], Registratur-Nr. 51.008-0029, Untersuchungsbericht und Maßnahmenkonzep- tion für die Grabdenkmale im Innenhof der Erfurter Michaeliskirche durch das Ingenieurbüro für Steinsanierung und Denkmalpflege Erfurt, 2014.
8 Prominente Beispiele für Darstellungen barhäuptiger Geistlicher auf Epita- phien bzw. Grabsteinen sind u. a. das Epitaph Martin Luthers (gest. 1546) in der Jenaer Stadtkirche St. Michael (Meißner, Karl-Heinz: Das erste Denkmal für Martin Luther. Zum Holzmodell des Epitaphs in der Erfurter Andreaskirche von 1548. In: MVGAE 75 [2014]. S. 51-62), der Grabstein Johannes Aurifabers (gest. 1576) in der Erfurter Predigerkirche sowie der Grabstein Johannes Bugen- hagens (gest. 1558) in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien.
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