Page 83 - Langsdorfer Verträge Inhalt
P. 83

NEUGESTALTUNG IN DER MITTE DES REICHES 63
berechtigte Erbe gewesen sei281. Erstmals an dieser Stelle ist gleichsam von einem hessisch- meißnischen „Erbfolgekrieg“ die Rede.
Siegfried von Ballhausen zog für sein „Compendium Historiarum“ sowohl die Er- furter Predigerannalen wie die Chronica Minor und die Erfurter Peterschronik heran, wich aber in seiner Darstellung des Übergangs der Landgrafschaft Thüringen an Hein- rich den Erlauchten und des hessisch-wettinischen Konflikts bewusst von seinen Vor- lagen ab. Lediglich an den Bericht der Predigerannalen über die unrechtmäßige und ge- waltsame Inbesitznahme des Fürstentums Thüringen durch Markgraf Heinrich knüpfte er an und stellte, die Darstellungstendenz des Braunschweiger Reimchronisten fortfüh- rend, einen kausalen Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwi- schen Landgraf Albrecht und Graf Heinrich von Hessen über das Land Thüringen her, von denen erstmals die Peterschronik berichtete. Fragt man nach den Ursachen für die sich derart formierende, sich auf Sophie von Brabant und Heinrich den Erlauchten als Hauptprotagonisten fokussierende Tradition eines hessisch-meißnischen Erbfolgekrie- ges um das Land Thüringen, dann dürften antiwettinische Tendenzen282, die durch das negative Bild Landgraf Albrechts des Entarteten weiter intensiviert wurden, und die zunehmende rückblickende Verklärung des ausgestorbenen ludowingischen Landgra- fenhauses seit dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts als einer Krisenzeit wettinischer Herrschaft in Thüringern wohl die entscheidende Rolle gespielt haben283.
6. Die Reinhardsbrunner Chronik
Eine nochmalige Steigerung der spätestens mit Siegfried von Ballhausen in Thüringen etablierten Tradition und zugleich eine weitere Anreicherung um neue, präzisierende De- tails brachte die 1340/49 verfasste Reinhardsbrunner Chronik284. Sie fußt für ihre Mit-
281 Ebd., S. 705: quia marchio Misnensis Heinricus predictam terram usurpaverat, cum tamen filius iam dicte ducisse land- gravius scilicet Hassie, propinquior esset heres.
282 Der negativen Darstellung Heinrichs des Erlauchten im Zusammenhang mit seinem Erwerb des Landes Thüringen steht an anderer Stelle eine überaus positive Charakterisierung des Markgrafen durch Sieg- fried gegenüber, die zahlreiche Elemente des klassischen Herrscherlobs enthält, ebd., S. 703.
283 Vgl. hierzu erste Hinweise bei werner, Landesbewusstsein (wie Anm. 268), S. 120 f., 132 ff. und moeG- lin (wie Anm. 279), S. 332 f., 342. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass in dem Schrei- ben der vereinten comites et nobiles et ministeriales Thuringie von 1277 an König Rudolf von Habsburg mit Klagen über den Landgrafen Albrecht und seinen Bruder Dietrich und der Bitte um Rücknahme der le- dig gewordenen Landgrafschaft Thüringen ausdrücklich betont wird, dass, da Heinrich Raspe absque he- rede decesserit, ipsa terra est ad imperium racionliter devoluta, d. h. das Erbrecht der Wettiner auf die Landgraf- schaft Thüringen wurde im Lande selbst noch 30 Jahre nach deren Anfall an Heinrich den Erlauchten weithin in Frage gestellt, werner, S. 121 mit Anm. 215, S. 125.
284 moeGlin (wie Anm. 279), S. 335 f.; teBruck, Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), S. 31–35, 199–204; die hier S. 35 Anm. 27 angemahnte umfassende Untersuchung der Gesamtchronik und der in ihr kom- pilierten und umgestalteten jüngeren Traditionen, insbesondere für die Zeit nach der Mitte des 13. Jahr- hunderts, stellt weiterhin eines der dringendsten Forschungsdesiderate zur Historiographie des thürin- gisch-hessisch-sächsischen Raums im Spätmittelalter dar.


































































































   81   82   83   84   85